Je grösser das Unternehmen ist, in dem Sie arbeiten, um so grösser die Chance, dass Sie von Symptomen wie überbordender Bürokratie, scheinheiligem Management (A sagen und B tun), Dominanz politischer Interessen, pausenlosen Restrukturierungen mit entsprechenden Unsicherheiten und Effizienzeinbussen betroffen sind. Und die Liste liesse sich fortsetzen.
Solche Strukturen sind nicht nur schlecht für das Geschäft, sie frustrieren auf Dauer auch den motiviertesten und widerstandsfähigsten Mitarbeiter.
Führen statt frustrieren
So zeichnet dann auch die globale Gallup Studie ein ernüchterndes Bild: Im deutschsprachigen Raum sind lediglich 15% der Mitarbeitenden mit Herz und Engagement bei der Arbeit. 76% der Schweizer sind in Ihrem Job lediglich körperlich anwesend – die Studie spricht von „schlafwandelnden“ Mitarbeitern. Und in Deutschland arbeitet gar ein Viertel der Belegschaft aus Frust aktiv gegen die Interessen des Unternehmens und unterwandert gezielt die Anstrengungen Ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Quelle: https://hbr.org/web/infographic/2013/11/workplace-engagement-around-the-world
Gefangen in der Komplexitätsfalle
Natürlich werden Firmen weder von Heerscharen verkappter Saboteure heimgesucht, noch lebt die Mehrheit der Werktätigen ihre bösartigen Persönlichkeitsmerkmale am Arbeitsplatz aus. Ganz im Gegenteil: Es gibt nur wenig, das Menschen mehr motiviert, als einer Tätigkeit nachzugehen, mit der sie einen sinnvollen Beitrag zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels leisten.
Doch gerade hoch motivierte Mitarbeitende stossen im Unternehmensalltag oft auf Strukturen und Unternehmenskulturen, die jede Initiative ins Leere laufen lassen oder bereits im Keim ersticken. Unklare und widersprüchliche Ziele, überforderte und nur am eigenen Machterhalt interessierte Manager, Unmengen von Regeln, permanentes Feuerlöschen und kurzfristiger Aktionismus bestimmen insbesondere in Grossunternehmen oft das Arbeitsumfeld. Auch die engagiertesten Mitarbeiter zermürbt der ständige und in der Regel aussichtslose Kampf gegen die Mühlen solcher ‚pathologischen‘ oder krankhaften Organisationen, wie der deutsche Soziologe Klaus Türk sie bezeichnet.
Manager führen falsch
Die Ursache liegt also nicht bei den Mitarbeitern, sondern in einem falschen Führungsparadigma. Kernproblem sind komplexe Herausforderungen, denen die Unternehmen mit ungeeigneten Mitteln begegnen. Klassische Managementmethoden wie Projektmanagement und hierarchische, auf Regeln basierende Steuerungssysteme scheitern nämlich, wenn sie auf komplexe Aufgabenstellungen angewendet werden. Die Managementkybernetik, die sich mit Fragen der Steuerung komplexer Systeme befasst, kennt diesen Zusammenhang als „Ashby’s Gesetz der erforderlichen Varietät“.
Der Schweizer Experte für Unternehmenskultur, Ralph Höfliger, spricht hier sehr anschaulich von Komplexitäts-Stress. Mit diesem Begriff beschreibt er die Tatsache, dass der vorherrschende Führungsstil von „teile-und-herrsche“ bei Komplexität zwangsläufig zu einer systembedingten Überforderung der Organisation führt, die weder von den verantwortlichen Managern noch von den Mitarbeitern bewältigt werden kann. (Wie Sie es besser machen können, erklärt er übrigens in seinem Seminar „Führen in Komplexität„)
Ist es schon zu spät?
Die Gallup Studie macht deutlich, dass die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer offensichtlich bereits vor dieser Situation resigniert hat. Mit gravierenden Folgen: Die Forscher konnten auch zeigen, dass die Unternehmen mit dem höchsten Anteil engagierter Mitarbeiter um 21% produktiver und um 22% profitabler sind als diejenigen am anderen Ende der Skala. Andere Untersuchungen schätzen die Kosten des sogenannten „Präsentismus“, also physisch anwesender, aber geistig abwesender Mitarbeiter, allein in den USA auf 150 Milliarden US Dollar – Jahr für Jahr.
Wie aber agieren, statt zu resignieren?
Love it, leave it, or change it. Doch welche Handlungsmöglichkeiten haben Sie als Einzelner unter solch widrigen Umständen überhaupt? Immerhin werden Sie kaum im Alleingang einen Change- oder Kulturveränderungsprozess auslösen können.
Wenn Sie trotzdem aktiv werden wollen, müssen Sie in den meisten Fällen auf Guerilla-Taktiken setzen und Undercover-Strategien anwenden, mit denen Sie Ihre Ziele ausserhalb der offiziellen Wege und an verkrusteten Organisationsstrukturen vorbei erreichen können.
Hier ein Leitfaden für Ihre nächste Untergrund-Kampagne.
Sechs Empfehlungen für Guerilla Leadership
1. Gehen Sie strategisch vor
Analysieren Sie Ihr Umfeld genau. Dabei lohnt es sich, auch über den eigenen Bereich hinaus zu blicken. Besonders bewährt haben sich Methoden aus der Spieltheorie.
Die Abbildung mit den Dimensionen des „PARTNER“ Modells zeigt, welche Einflussfaktoren und Zusammenhänge Sie dabei berücksichtigen sollten. (Den Leitfaden „Strategieentwicklung mit dem PARTNER Modell“ können Sie übrigens hier kostenlos herunterladen.)
2. Suchen Sie sich Komplizen
Sie können davon ausgehen, dass Sie nicht alleine sind – weder in Ihrem Wunsch, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, noch in Ihrem Leiden unter den Auswirkungen von Komplexitäts-Stress. Suchen Sie sich Gleichgesinnte, mit denen Sie zusammenarbeiten können. Ihre strategische Analyse liefert Anhaltspunkte und Ideen, wen Sie als Komplizen mit ins Boot holen können, um die Organisation von innen heraus zu verbessern.
3. Sichern Sie sich Vorsprung durch Empathie
Empathie heisst, die Bedürfnisse Ihres Gegenübers und damit seine Motivation zu verstehen. Versetzen Sie sich in die Situation Ihrer Gegenspieler und fragen Sie sich, welche Bedürfnisse sie haben und wie die herrschenden Strukturen und Regeln dazu beitragen, diese zu befriedigen.
Diese Übung schärft Ihre Wahrnehmung für die Interessen und Motive anderer und liefert Ideen für Strategien und Verhandlungsspielräume, mit denen Sie Ihre Kontrahenten in Ihre Richtung bewegen können.
4. Denken Sie wie Greenpeace
Campaigning heisst, alle Register zu ziehen, um möglichst effizient sein Ziele zu erreichen. So schreibt Peter Metzinger, der als ehemaliger Campaigs Director von Greenpeace Schweiz heute Unternehmen berät, die mit wenig Mitteln und Einfluss viel bewirken wollen. Wie Sie durch den Einsatz der 14 Campaigning Grundsätze vom Know-how der Profis profitieren können, beschreibt er auf seiner Webseite businesscampaigning.com.
5. Nutzen Sie die Macht von Spielen
In ihrem Bestseller „Reality is Broken“ (deutsch: „Besser als die Wirklichkeit„) beschrieb die Gamedesignerin Jane McGonigal 2011, wie „kaputte“ Organisationen und Institutionen mit denselben Strategien verbessert werden können, mit denen Spieleentwickler ihre virtuelle Realitäten so unwiderstehlich machen. Unter „Gamification“ hat sich seitdem ein Wissensgebiet herausgebildet, das durch den Einsatz von Game Design Prinzipien motivierende Arbeitsstrukturen schafft.
6. Vereinfachen Sie – kill a stupid rule
Oft ist weniger mehr. Machen Sie sich und anderen das Leben leichter und starten Sie, indem Sie die sinnloseste Regel in Ihrem Arbeitsumfeld abschaffen. Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt – hier sehen Sie, wie das gehen kann.
Hacking Work
Mit diesen ersten Ideen ausgerüstet können Sie anfangen, Ihre Arbeitssituation und damit Ihr Unternehmen von innen heraus zu verbessern. Falls Sie dabei übrigens wegen des subversiven Charakters ethische Bedenken haben – immerhin lade ich Sie ein, sich über (sinnlose) Regeln hinwegzusetzen und Freiräume kreativ zu nutzen – dann seien Sie beruhigt, denn Sie sind in guter Gesellschaft sind: Gary Hamel, Strategieprofessor an der London School of Economics und vom Wall Street Journal als World’s most influential business thinker gewählt, hat eine Initiative gegründet, die genau dazu auffordert. Unter dem Stichwort „Hacking Management“ werden dort die besten „Hacks“ gesammelt und prämiert.
Wenn Sie also durch diesen Beitrag auf eine gute Idee kommen: Setzen Sie Ihre Guerilla-Strategie um, und berichten Sie auf ManagementExchange.com darüber – vielleicht gewinnen Sie sogar einen Preis.
PS
Für den Kontext von Change Management wird dieses Thema in dem Beitrag „Guerilla Leadership im Change“ beim 3. Change Management Camp am 28. April in Horgen am Zürichsee behandelt.
PPS
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Computerworld, Ausgabe 4/2015, veröffentlicht worden.
Eine PDF Version des Artikels können Sie hier kostenlos herunterladen.
Schreibe einen Kommentar